Freitag, 5. Februar 2016

Buchtipp: Zur Theorie politischer Aktion. Eine Einführung (Christiane Leidinger, edition assemblage, 2015)

„Protest- und Bewegungsforschung mag vielleicht die Ordnung lieben. Regierungs- und Parteipolitik auch. Emanzipatorischer politischer Aktivismus jedoch offenkundig eher selten“
schreibt Christiane Leidinger als letzte Sätze in ihrem Buch „Zur Theorie politischer Aktionen. Eine Einführung“.
Angesichts der Anstrengungen, die sie unternimmt, eine Systematik zur Beschreibung und Einordnung von politischen Aktionen zu finden, liest sich dieses Fazit leicht resigniert. Gleichzeitig fasst es treffend zusammen, was die Potentialität politischer Aktionsformen darstellt, worin die Kreativität von Aktivist*innen in Sozialen Bewegungen besteht und bestehen muss: Sich aus dem nur schwer zu überschauenden, zu ordnenden und sich ständig verändernden Sammelsurium von Aktionsformen (und Noch-Nicht-Aktionsformen) immer wieder neu inspirieren zu lassen, Formen kreativ zu kombinieren und neu zu erfinden.

„Das Buch richtet sich an Aktivist*innen, die wissen wollen, wie Wissenschaft theoretisiert hat, was sie tun; an Studierende und Wissenschaftler*innen, die sich mit Protest- und Bewegungsforschung auseinandersetzen möchten; an Journalist*innen und Archivar*innen...“. Es bietet eine kritische Aufarbeitung bisheriger wissenschaftlicher Arbeiten rund um politische Aktionen als Spielart von Protest und Teil politischer Partizipation. Es ergänzt die in der Bewegungs- und Protestforschung bisher nur dürftigen systematischen Betrachtungen des Bereichs politischer Aktionen und die recht unterschiedliche und oft diffuse Verwendung von Begriffen.

Die weit verbreitete Unterscheidung intermediär (über Medien vermittelt), demonstrativ (Kundgebung/Demonstration) und direkt (Streik) erweitert Leidinger um Laboraktionen (z.B. Camps), Freiheitsaktionen (kollektive Abtreibungsfahrten) und Körpergegenwehraktionen (Frauen-Lesben-Patrouillen) sowie die Hervorhebung der anarchistischen Direkten Aktion (mit großem „D“; Aktionen ohne Vermittlung durch Politiker*innen oder Bürokrat*innen). Die durchgängige zusätzliche Betrachtung spezifischer Aktionen von Frauen-Lesben- bzw. (queer-)feministischer Bewegungen ermöglicht dabei interessante Kontraste und Perspektiven.

Die Feststellung, dass spezifische Fallanalysen nötig wären, um den Sinn einzelner Aktion wirklich zu verstehen, trägt den komplexen Zusammenhängen Rechnung, in denen politische Aktionen tatsächlich stehen. Dass Leidinger dies immer wieder reflektiert, ist Stärke ihres Buches. Denn im Handgemenge der politischen Praxis entstehen gute Aktionen nicht nach Muster, Definition und Kategorie sondern müssen den aktuellen taktischen und strategischen Erfordernissen sowie Bedürfnissen und Fähigkeiten (und nicht zuletzt auch der Lust!) der Aktivist*innen angepasst werden. Aktionen sind damit in der Praxis auch nie Reinformen. Ziele, Absichten, Motivationen der Aktivist*innen, politische Wirkungen,... sind vielschichtig und verändern sich zudem oft noch in der Aktion. Und schließlich bleiben Aspekte der Selbstermächtigung (es macht einen Unterschied, ob ein Demo-Schild selbst gestaltet oder von einer NGO vorproduziert wurde) oder des sozialen Lernens und Ausprobierens neuer sozialer Umgangsformen (z.B. bei Aktionstrainings für Blockadeaktionen, in der Durchführung von Aktionen, aber auch in der Bündnisarbeit für Aktionen) meist unerforscht, da schwer zu beobachten und zu ordnen. Wohingegen sich dieses Buch gut einordnen lässt: Als wichtige wissenschaftliche Arbeit zur Theorie politischer Aktionen. Wer als Aktivist*in Ideen und Anregungen für eigene Aktionen sucht, wird jedoch in anderen Büchern und Sammlungen von Aktionsformen eher fündig werden.

Christiane Leidinger: Zur Theorie politischer Aktionen. Eine Einführung (edition assemblage, 2015)
152 Seiten, 12.80 EUR
http://www.edition-assemblage.de/zur-theorie-politischer-aktionen/

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