Buecher, Magazine, Texte,...

Über das Leben junger Polit-Aktivistinnen

Rezension von „Radikal Mutig. Meine Anleitung zum Anderssein“ und „Augen zu gilt nicht. Auf der Suche nach einer gerechten Welt“

Was hat es zu bedeuten, wenn größere Verlage Bücher über das Leben junger „radikaler“ Aktivistinnen veröffentlichen – nicht die üblichen Biografien langjährig aktiver Polit-Profis, sondern von außerhalb der Szene eher unbekannten Menschen, die irgendwie so sind wie Du und ich (waren)?

Gleich zwei solcher Bücher sind 2009 erschienen. Hanna Poddig und Silvia Hable, beide Mitte 20, schildern darin ihr Leben, ihre politischen Ansichten, ihre Erlebnisse und Aktionen. Und wer in den letzten Jahren bei Feldbefreiungen, Castorblockaden, antimilitaristischen Protesten und Aktionscamps unterwegs war, ist mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit beiden, auf ganz unterschiedliche Weise auffallenden, Frauen irgendwo schon mal begegnet.

Silvia Hables „Augen zu gilt nicht. Auf der Suche nach einer gerechten Welt“ (Deutsche Verlags-Anstalt) ist eine Art Coming-of-age-Jugendroman, der zeigt, wie der jugendliche Ausbruch aus der kleinstädtisch-bürgerlichen Welt über die Punk-Szene in die autonom-alternative HausbesetzerInnen-Szene Berlins führt, mit Verlieben, Partys, Demos... und allem was dazugehört – angenehm leicht erzählt mit Selbstironie und Szenekritik.

Poddigs „Radikal mutig - Anleitung zum Andersein“ (Rotbuch) ist dagegen ein sehr aufklärerisches Buch, im Gegensatz zu Silvia Hable läßt Hanna Poddig die Lesenden fast nichts über ihre persönliche Geschichte erfahren und stürzt sich stattdessen Hals über Kopf in Lebensmittelcontainer und Aktionsschilderungen, sowie im Schnelldurchlauf durch Themen wie Ernährung, Anti-Militarismus, Atomkraft, Gentechnik.

Während Hanna Poddigs fehlende persönliche Biografie dem nicht-aktivistischen Lesenden möglicherweise einen anderen Zugang zu Aktivismus vorenthält, entsteht bei Silvia Hables Erzählungen leicht der Eindruck einer vorübergehenden radikalen Jugendphase. Gerade deshalb zeigen die beiden Bücher aber auch schön, was in Köpfen und Leben heutiger junger linker AktivistInnen vorgeht.

Zu hoffen wäre, dass diese beiden Bücher und die damit einhergehende Präsenz auch in anderen Medien – Hanna Poddig ist seit Erscheinen ihres Buches immer wieder in Fernsehinterviews zu sehen - eine sich positiv verändernde mediale oder gar gesellschaftliche Haltung zu radikalem, linkem Aktivismus anzeigen würden, und Verständnis schaffen könnten für linkes Denken und Handeln, im besten Falle sogar zu eigenem Handeln anregen.

Angesichts der üblichen Mediendiskurse und der Tatsache, dass aktuell von der Bundesregierung sehr erfolgreich das gesellschaftliche Feindbild „linker Extremismus“ neu beschworen wird, bleibt dies aber wohl leider eher ein Wunsch.
Um so mehr sind die beiden Bücher wichtige und lesenswerte Zeugnisse eines radikalen Andersseins.

Silvia Hable: Augen zu gilt nicht. Auf der Suche nach einer gerechten Welt. Deutsche Verlags-Anstalt, 2009

Hanna Poddig: Radikal Mutig. Meine Anleitung zum Anderssein. Rotbuch, 2009


Marc Amann

Rezension “Kommt herunter, reiht Euch ein … Eine kleine Geschichte der Protestformen sozialer Bewegungen.”

Im ak – zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 545 / 18.12.2009 bespricht Marc Amann, Herausgeber von go.stop.act! das von Klaus Schönberger und Ove Sutter herausgegebene Buch “Kommt herunter, reiht Euch ein … Eine kleine Geschichte der Protestformen sozialer Bewegungen.”:
http://blog.zhdk.ch/kschoenberger/2009/12/22/marc-amann-im-ak-uber-komm-herunter-reiht-euch-ein/

Über Zivilen und Sozialen Ungehorsam (Rezension "nicht alles tun", Unrast, 2008)

Über Zivilen und Sozialen Ungehorsam

Gipfelblockaden, Feldbefreiungen, Verhinderung von Naziaufmärschen, Castorblockaden, Baumbesetzungen gegen Flughafenausbau, Besetzungen von Kohlekraftwerksbaustellen, Inspektionen von Atomwaffenlagern,… Aktionen zivilen Ungehorsams sind nicht neu, erfreuen sich aber in den letzten Jahren einer neuen Beliebtheit. Und nicht mehr nur in der klassisch gewaltfreien Bewegung sondern verstärkt in der ganzen radikalen Linken wird viel von Zivilem Ungehorsam, „Sozialem Ungehorsam“ oder gar „radikalisiertem Zivilem Ungehorsam“ (Christoph Kleine in ak 538) gesprochen. Gleichzeitig scheint es aber, als sei dort bisher außer „politischer Rhetorik“ auf theoretischer Ebene wenig substanziell Neues erarbeitet worden. „nicht alles tun“, Publikation zu einer Ausstellung von Jens Kastner und Bettina Spörr, die sich mit „den Schnittstellen von Kunst, radikaler Politik und Technologie“ beschäftigt, beginnt, diese Lücke zu füllen und bietet eine lesenswerte Zusammenstellung von Texten mit ganz unterschiedlichen Verständnissen und Betrachtungstiefen von „ungehorsamem“ Verhalten.

Was „ist noch ungehorsam, wenn es keine auf Gewalt basierende Autorität als Gegenüber mehr gibt, die den Gehorsam einfordert?“ fragen die HerausgeberInnen und beschreiben mit Foucault und Gramsci die im Neoliberalismus veränderten Formen von Herrschaft und (Selbst-)Führung. Der auf Henry David Thoreau („Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“) zurückgehende Satz „nicht alles tun“ bedeutet für sie dabei „einerseits, nicht mitzumachen, sich zu verweigern, zu blockieren, zu sabotieren und bedeutet andererseits, sich nicht dumm und passiv machen zu lassen, also wenigstens etwas zu tun – was und was nicht, unter welchen Umständen und wie, genau das steht zur Debatte.“ Dem könnte entgegengehalten werden, dass zunehmende staatliche Repression (allgemeine Grundrechtseinschränkungen, Repressalien gegen politisch Aktive, gegen Arbeitslose, Flüchtlinge, etc) und Militarisierung nach Innen (!) und Außen das gesellschaftliche Kräfteverhältnis „Staat“ derzeit vielleicht doch wieder klarer als auf Gewalt basierende Autorität hervortreten lassen. Trotzdem ist die Frage interessant, die sich um den neuen Begriff des „Sozialen Ungehorsams“ rankt, seit dieser 2001 von den italienischen Tute Bianche (später Disobbedienti/die Ungehorsamen) in die linksradikale Begriffswelt geworfen wurde: Wie könnte zeitgemäßer Ungehorsam aussehen, der grundsätzliche Veränderung anstrebt und nicht an den Staat und dessen Justiz appelliert? Wie und wo kann Ungehorsam geleistet werden gegen die alltäglichen Zumutungen des Kapitalismus und die eigene Eingebundenheit darin?

Lou Marin erinnert in seinem Beitrag „ein Jahrhundert des Revolutionären Zivilen Ungehorsams“ daran, dass die „Radikalität“ zivilen Ungehorsams in der Geschichte sozialer Bewegungen schon vielfach praktiziert und diskutiert wurde, aber vieles davon mittlerweile in Vergessenheit geraten ist. In seiner historischen Übersicht stellt er die wichtigen Aktionen und Kampagnen von Anfang des 20. Jahrhunderts in Südafrika und Indien, über die Bürgerrechtsbewegung der USA, die `68er, die Neuen Sozialen Bewegungen bis heute dar, beschreibt Gandhis Ansatz als „antikolonial-antikapitalistisch“, verweist auf Aktionsgruppen mit revolutionärem, systemüberwindendem Verständnis von Zivilem Ungehorsam und zeichnet Debatten nach, die in den 80er Jahren um die reformistische Neuinterpretation von Zivilem Ungehorsam (u.a. durch Theodor Ebert, einem der Haupttheoretiker der 70er/80er Jahre) als „aktiver Verfassungsschutz“ sowie die damalige Funktionalisierung durch Teile der SPD geführt wurden. Zudem weist er auch –dies ist angesichts aktueller Strategien zivil-militärischer Zusammenarbeit wichtig – auf Gruppen in osteuropäischen und asiatischen Ländern hin, die finanziell und organisatorisch unterstützt durch regierungsnahe US-Thinktanks Formen des Zivilen Ungehorsams trainierten, um unliebsame Regierungen zu stürzen (z.B. „Otpor“ in Serbien).

„Eine aktuelle Ausformung des zivilen Ungehorsams, die sich durch breite Beteiligung und durch grundsätzliche Systemkritik auszeichnet“ versteht Ulrike Laubenthal unter sozialem Ungehorsam – Sitzblockaden der 80er und 90er Jahre waren für sie Aktionen mit oftmals nur einer Handvoll Beteiligten im Gegensatz zu den Tausenden bei BlockG8 im Jahr 2007 - und betont die utopische Komponente zivilen Ungehorsams und das Entwerfen von Konzepten für eine andere Gesellschaft. Andrea Pabst dagegen versteht im Aufruf zu Sozialem Ungehorsam „ein Plädoyer für die Ausweitung des Ungehorsams auf alle gesellschaftlichen Bereiche (...) Nicht mehr nur unmittelbar an die Öffentlichkeit gerichteten direkten Aktionen wie z.B. Blockaden kommt damit Aufmerksamkeit zu“. Gedacht werden kann an ÄrztInnen, die Papierlose behandeln, ProgrammiererInnen, die bezahlte Zeit und Ressourcen nutzen, um Freie Software zu entwickeln, oder JournalistInnen, die mit unabhängigen Medien zusammenarbeiten. Dem Hinweis, dass die Gefahr bestehe „mit dem Begriff des sozialen Ungehorsams nur Praktiken zu benennen, die ohnehin schon lange existieren“ und es sich „vor allem um politische Rhetorik handelt“ kann jedoch entgegnet werden, dass mit der Benennung solcher individueller und oftmals verborgener Akte als „Sozialer Ungehorsam“ auch die Hoffnung einhergeht, sich der Möglichkeiten dieser zu vergegenwärtigen, sie zu verbreite(r)n und in Zusammenhang mit anderen Formen des Protests und Widerstandes zu setzen.

Jens Kastner und Gerald Raunig entwerfen in ihrem (im Vergleich zu den anderen Texten theoretisch sehr komplexen) Abschlusskapitel Aspekte, die sie „als zentrale Komponenten jeder zeitgemäßen Vorstellung von Ungehorsam verstehen“. Demnach scheint ihnen, wiederum ausgehend von Annahmen moderner Gouvernementalität und biopolitischer Verfasstheit der Subjekte, unter anderem „eine reduzierte Fokussierung auf Gesetz, Recht und Staat weder theoretisch ausreichend, noch für aktuelle Praxen des Ungehorsams relevant zu sein“. Dagegen sehen sie, bezugnehmend auf Paolo Virno, den „Ausweg nicht im Bruch als Negation oder einer dialektischen Form von Widerstand, sondern gerade in einer Kombination aus radikalem Ungehorsam und Exodus, also offensiver, kollektiver Flucht. (…) Es geht nicht allein um den Entwurf neuer Spielzüge, von Taktiken, um den Gegner auszuspielen, sondern um einen Angriff auf die Regeln, auf den Glauben an das Spiel selbst“ – um Erfindungen, „die die Regeln des Spiels abändern und die Kompassnadel des Gegners zum Rotieren bringt“. Wie solche Verhaltensweisen und Aktionen aussehen könnten, bleibt allerdings unbeantwortet. Gedacht werden könnte vielleicht an Techniken der Kommunikationsguerilla, einige der am Ende von "nicht alles tun" kurz beschrieben künstlerischen Projekte der Ausstellung gehen auch in diese Richtung, aber auch an handfeste Ansätze wie die des „Mietshäusersyndikat“-Verbundes, der kapitalistische Rechtsstrukturen (GmbHs) nutzt, um Haus- und Grundbesitz der kapitalistischen Verwertung und dem privaten Besitz zu entziehen und der kollektiven Selbstverwaltung der NutzerInnen zuzuführen.

„nicht alles tun“ bietet gerade durch die sehr unterschiedlichen Betrachtungen und Begründungen von Zivilem/Sozialem Ungehorsam viele Anregungen für eine aktuelle Debatte und geht damit über die im aktivistischen Alltag dominierenden Fragen nach Bündnissen und taktischen Fragen der konkreten Durchführung meist mehr oder weniger massenhafter Aktionen weit hinaus.

Marc Amann


Jens Kastner, Bettina Spörr (Hg.):
nicht alles tun. Ziviler und Sozialer Ungehorsam an den Schnittstellen von Kunst, radikaler Politik und Technologie. Münster: Unrast Verlag 2008, 195 Seiten, 16 Euro

Eine leicht gekürzte Version dieses Textes erschien unter dem Titel "Über Zivilen und Sozialen Ungehorsam. Jens Kastner und Bettina Spörr entwickeln nützliche theoretische Perspektiven" in der Zeitung analyse und kritik Nr. 542 am 18.09.2009

Überwachung und Gegenwehr (Rezension "Kontrollverluste", Unrast, 2008)

Leipziger Kamera (Hrsg.): Kontrollverluste. Interventionen gegen Überwachung.

Nachdem das Thema Überwachung und Kontrolle jahrelang nur wenig Protest hervorgerufen hat, haben sich seit den zunehmenden Überwachungsmaßnahmen im Internet seit 2007 breitere Bündnisse gebildet, bundesweite Aktionstage und Demonstrationen mit zehntausenden Teilnehmenden fanden statt.

Die Initiative „Leipziger Kamera“ engagiert sich seit 2003 gegen Überwachung – u.a. mit überwachungskritischen Stadtführungen, Vorträgen, Kampagnen- und Bündnisarbeit, Radio gegen Überwachung und Kontrolle, Verleihung des Leipziger Erich-Mielke-Gedächtnispreises und einem Kamerastadtplan der Leipziger Innenstadt. „Vom Anbeginn unserer Arbeit haben wir die allgegenwärtige Ausweitung von Überwachungspraktiken als Symptom des Wandels kapitalistischer Regulation begriffen. Dadurch unterscheiden wir uns von der liberalen Mehrheit der Datenschützer_innen und Bürgerrechtler_innen.“ Mit „Kontrollverluste“ hat die Initiative eine umfassende Zusammenstellung zum Thema herausgegeben und darin 33 Texte größtenteils bekannter linker AktivistInnen, Gruppen und kritischer WissenschaftlerInnen versammelt, die verschiedenste Aspekte von Überwachung aus unterschiedlichen Perspektiven behandeln. Aktuelle Entwicklungen im Überwachungsbereich und deren gesellschaftlicher Kontext („Die Kontrollgesellschaft ist auch eine Zuschauergesellschaft“) werden analysiert, kritische Blicke auf aktuelle Bürgerrechtskampagnen geworfen, die staatliche Repression gegen linke AktivistInnen (Betroffene der mg-Überwachung und Verfahren), sowie in den üblichen Debatten oftmals übersehene betroffene Gruppen wie MigrantInnen, Erwerbslose, Jugendliche und Frauen beschrieben.

„Solange wir in Verhältnissen leben, die fortwährend Verlierer und „Überflüssige“ produzieren, so lange braucht es auch Überwachung, um diese Verhältnisse aufrecht zu erhalten und die Unzufriedenen und Ausgeschlossenen zu kontrollieren. Daher lässt sich Überwachung nicht als isoliertes Phänomen betrachten. (...) Gegen das Wuchern der Kontrollmechanismen muss auf vielen Ebenen gleichzeitig gekämpft werden, und gerade die Vielfalt der Handlungsrepertoires könnte letztlich Erfolge ermöglichen. Nicht eine Strategie ist die richtige. Interventionen mit juristischen Mitteln mögen in ihrer Tragweite begrenzt sein, trotzdem wäre es falsch, auf diese Mittel zu verzichten. Gleiches gilt für Interventionen, die mit dem Mittel der künstlerischen Irritation versuchen, Bewusstseinsbildungsprozesse anzuregen, für direkte Aktionen gegen Überwachungsinfrastrukturen ebenso wie für theoretische Kritik der Voraussetzungen der Überwachung und den Versuch, andere mit Argumenten zu überzeugen.“

Leider wird die überwachungskritische Praxis weniger ausführlich dargestellt als die Analyse. Neben einigen wenigen Kapiteln (u.a. Polizeikontrollstelle Potsdam, Surveillance Camera Players New York, Radiogruppe LIGNA Hamburg) werden künstlerische Interventionen der Londoner Space Hijackers in Fotos dargestellt. Interessant wäre es gewesen, mehr über diese und weitere praktische Interventionen - gerade auch die der „Leipziger Kamera“ selbst - erfahren zu können.

Marc Amann

Leipziger Kamera (Hrsg.): Kontrollverluste. Interventionen gegen Überwachung.
Unrast Verlag, Münster 2008, 256 Seiten, 18 EUR
http://www.unrast-verlag.de/unrast,2,308,7.html

Eine leicht veränderte Version dieses Textes erschien der Zeitung analyse und kritik, Nr. 542 am 18.09.2009.

Mašta, the magazine for creative activism

Mašta ist ein hübsches internationales Magazin, das sich mit kreativen Aktionen und öffentlicher Kunst im weitesten Sinne beschäftigt (z.B. verschiedenste Formen von Street Art, Guerilla Gardening,...)
Die bisherigen 4 Ausgaben sind alle auf der Homepage dokumentiert.

"Mašta means 'imagination'. It also means ´whatever´. Growing from input, actions and creations, we publish a sparkling magazine to tickle your imagination and inspire you to act. The magazine exists of different forms of creative expression, images, articles, art, discussion, sharing of ideas and experiences. We wish to be inspired by creative acts of others. You are warmly invited to submit your stories and images!"
http://www.creativeacts.org/

Handbuch „Online-Aktivismus“ erschienen (Januar 2007)

Aktivimus im Internet ersetzt nicht den Protest auf der Straße – jedoch greifen im Idealfall verschiedene Aktionsformen ineinander...

Libertad hat die Erfahrungen der ersten großen Online-Demo in Deutschland (2001 gegen das Abschiebegeschäft der Lufthansa) in Form eines Handbuches aufgearbeitet und dokumentiert und mit Texten zu politischem Aktivismus im Internet, zum WorldWideWeb als Protestraum, zur Geschichte der Online-Demonstrationen, zur Imageverschmutzungskampagne deportation.class, sowie Infos zur Protest-Software ergänzt.

Eine gute und wichtige Zusammenstellung!!!

http://www.libertad.de/inhalt/projekte/depclass/reader/index.shtml
http://germany.indymedia.org/2007/01/165290.shtml

Rezension: Grothe, Nicole: Kunst oder Politik? Künstlerische Praxis in der neoliberalen Stadt

Nicole Grothe:
InnenStadtAktion. Kunst oder Politik? Künstlerische Praxis in der neoliberalen Stadt.
transcript, 2005

Unter dem Titel „InnenStadtAktion!“ fanden im Sommer 1997 und 1998 zeitgleich in Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz Aktionstage gegen den Diskurs der „Inneren Sicherheit“, die Privatisierung öffentlicher Räume und die damit verbundene Ausgrenzung und Vertreibung bestimmter Personengruppen statt. Die Aktionstage zeichneten sich aus durch eine bunte Mischung unterschiedlichster Veranstaltungsformen und Interventionen im öffentlichen Raum, getragen wurden sie von Gruppen und Einzelpersonen aus dem Kunstbereich sowie linksradikalen Zusammenhängen.

Nicole Grothe geht in „InnenStadtAktion. Kunst oder Politik?“ aus kunsthistorischer Perspektive der Frage nach, welche Rolle Kunst bei der Frage „Wem gehört die Stadt“ – einem Motto der InnenStadtAktionen – spielt, sowohl in Form der Durchsetzung neoliberaler Umstrukturierungen als auch in Form künstlerischer Kritik daran.

Dafür stellt sie zu Beginn ausführlich die Prozesse neoliberaler Stadtpolitik und Standortkonkurrenz unter Einfluss des Diskurses von „Innerer Sicherheit“ und „Zero Tolerance“ in den 90er Jahren dar, die die Privatisierung öffentlicher Plätze, sowie Marginalisierung, Ausgrenzung und Vertreibung von Obdachlosen, DrogenkonsumentInnen, MigrantInnen sowie generell nicht ins aufpolierte Stadtbild passenden und nicht auf kommerziellen Konsum ausgerichteten Personen zur Folge hatte.

Die Rolle und Funktion, die Kunst innerhalb dieser Prozesse im öffentlichen Raum in den 90er Jahren spielte, zeigt Grothe exemplarisch anhand dreier Projekte.
Der Skulpturenrundgang der Stiftung DaimlerChrysler am Potsdamer Platz in Berlin wird als Beispiel für einen mit Kunst gestalteten „gesäuberten“ ehemals öffentlichen, nun privatisierten Platz beschrieben, das Projekt „Skulptur. Projekte in Münster 1997“ als ein Großprojekt, das sich zwar mit Fragen des öffentlichen Raums beschäftigt, dabei aber viele zentrale Fragen (z.B. nach Teilöffentlichkeiten) ausblendet und schließlich die „documenta X“, die kritischer Kunst eine Bühne bietet, dabei aber selbst Standortfaktor und Motor innerstädtischer Umgestaltung und sozialer Ausgrenzung in Kassel ist.

Nach einem Überblick über politische/aktivistische Kunst in den 90er Jahren, werden als Beispiele von Kunst, die diese Prozesse problematisiert und sich mit dem Leben von Marginalisierten in der neoliberalen Stadt beschäftigt, drei weitere Projekte ausführlich geschildert. Die Kategorien von Holger Kube Ventura (Informationskunst, Impulskunst, Interventionskunst) dienen dabei als Beschreibung der Ausrichtung und Zielsetzung dieser Projekte.
Martha Rosslers Projekt „If you lived here...“ (New York, Ende 80er Jahre) bestehend aus Ausstellungen über die Umstrukturierung Sohos und offenen Diskussionsveranstaltungen wird als „Informationskunst (als taktisches Medium)” geschildert. Christoph Schlingensiefs “Passion Impossible – 7 Tage Notruf für Deutschland (eine Bahnhofsmission)“, bei dem 1997 am Hamburger Hauptbahnhof zusammen mit Marginalisierten eine Reihe konfrontativer Aktionen veranstaltet wurden, wird als „Impulskunst (als trigger)“ gekennzeichnet, da hierbei kollektive Äußerungen der Betroffenen ausgelöst werden konnten.
Projekte der KünstlerInnengruppe „Wochenklausur“, die mit Ressourcen des Kunstbetriebs „soziale Projekte“ initiieren, die tatsächliche Verbesserungen für Betroffene bringen sollen und längerfristig weiterlaufen, entsprechen der Kategorie der „Interventionskunst (als Realpolitik)“.

Schließlich wird dann umfassend die Entstehung der „InnenStadtAktionstage“ und deren Vorläuferkonferenzen und -treffen sowie Debatten in künstlerischen wie aktivistischen Kreisen nachgezeichnet, wobei die Besonderheit der InnenStadtAktionen gerade darin gesehen wird, dass sie „weder von den Beteiligten, noch in der Rezeption als Kunstaktion bezeichnet“ wurden. Um Zielsetzung und Ausrichtung vieler der Aktionen, die im Kontext der InnenStadtAktionstage durchgeführt wurden zu analysieren, werden Konzepte und Herangehensweisen der Kommunikationsguerilla dargestellt und wiederum die Kategorien Kube Venturas genutzt (eine Rezension von „InnenStadtAktion. Kunst oder Politik?“ mit Schwerpunkt auf der darin vorgenommenen Untersuchung der InnenStadtAktionen mittels Theorien und Praktiken der Kommunikationsguerilla siehe unter: http://kommunikationsguerilla.twoday.net/stories/1043252 ). Dabei verweist Grothe aber auf das explizite Anliegen der InitiatorInnen, diese Aktionstage in erster Linie als Herstellung von Gegenöffentlichkeit zu begreifen, mittels subversiver wie auch aufklärerischer Formen.

Detailliert beschrieben und untersucht werden dann zahlreiche InnenStadtAktionen in Köln, Berlin und Düsseldorf, sowie die „A-Clips“-Film-Interventionen im Kinoraum.
Abschließend wird kritisch die spezifische Rolle der beteiligten KünstlerInnen, die Problematik von StellvertreterInnenpolitik, Symbolpolitik, Selbstreferenzialität und Distinktionsgewinn betrachtet. Die im Titel gestellte Frage „Kunst oder Politik?“ kann Grothe nicht beantworten, da „die InnenStadtAktionen gerade die Ausschließlichkeit, die in dieser Frage impliziert ist, unterläuft“. Einen Erfolg der InnenStadtAktionen sieht Grothe dann auch v.a. darin, dass über verschiedene Szenen hinweg zusammengearbeitet und gemeinsam eine inhaltliche Kritik artikuliert wurde. Gesamt gesehen ordnet sie die Aktionen der „Impulskunst (als trigger)“ zu, da damit versucht wurde, etwas auszulösen, in Gang zu setzen.

Für die aktivistische Praxis ist „InnenStadtAktion. Kunst oder Politik?“ nicht wegen der Frage nach Kunst oder Politik interessant (da verhält es sich, wie mit der Kommunikationsguerilla: „Kommunikationsguerilla interessiert sich nicht für die Qualität von Kunst nach den Kriterien der Kunstgeschichte, sondern für die Brauchbarkeit ihrer ästhetischen Mittel für eine subversive Praxis“), sondern wegen der Nachzeichnung der Inhalte und Hintergründe einer Kampagne, die Personen und Gruppen verschiedener Felder umfasste und viel Kreativität in die Frage nach der Vermittlung politischer Inhalte brachte. Auch zeigt das Buch, wie Aktionen nach ihren Herangehensweisen und Effekten kategorisiert werden können und liefert damit auch Ansätze für Planung und Auswertung von Aktionen.

Diese Rezension wurde leicht überarbeitet auch veröffentlicht in:
ak - analyse und kritik Nr. 503

Rezension: Sterneck, Wolfgang: Tanzende Sterne. Party, Tribes und Widerstand (Nachtschatten Verlag und KomistA, 2005)

Wolfgang Sterneck, seit Jahren aktiv im „Cybertribe“, Autor mehrerer Bücher (vgl. http://www.sterneck.net/komista/buecher) und Betreuer einer umfangreichen Online-Sammlung zu den Themen Kultur und Veränderung, Musik und Konsequenz, Subkultur, Widerstand, Drogen, Sexualität (http://www.sterneck.net/cybertribe/index.php), hat mit „Tanzende Sterne“ eine kürzere Textsammlung zu „Party, Tribes und Widerstand“ veröffentlicht, die an seine vorherigen Bücher anschließt. Neben der Schilderung (und Begeisterung) für die subversiv-emanzipatorischen, gesellschaftsverändernden Potentiale der Party-Kultur, wie sie aus Sternecks anderen Veröffentlichungen bekannt ist, tritt in vielen der Texte in „Tanzende Sterne“ aber auch eine ernüchternde Beschreibung der Folgen von Freaktum, (Star-)Kult und Kommerzialisierung in der Party-Kultur zutage: „Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei, doch viele übersehen dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist.“ So wird in den Texten immer wieder die Frage nach Vision und Realität in der Party-Kultur aufgeworfen, und Beispiele (wie das Festival „Nature One“ in dem Beitrag „Das Woodstock des Konsums“) geschildert, wo von Visionen in der Realität nichts mehr übrig geblieben ist. Mehrere Texte widmen sich auch wieder den Themen Bewusstsein, Trance, Drogen und „Psychedelischer Underground“, interessant dabei auch der Beitrag „Die aufgeblasene Flasche“, der die mit der Kommerzialisierung verbundene zunehmende Bedeutung alkoholischer Getränke und ihre negativen Folgen in der Party-Szene nachzeichnet.
Daneben beschreibt Sterneck aber auch wieder inspirierende Projekte, wie Playground, NachtTanzDemo, Reclaim The Streets, Spiral Tribe und Alice (Drug and Culture-Project), berichtet (auch kritisch) vom „Gathering of the Tribes“, einem internationalen Treffen von über 50 Projekten in Los Angeles, sowie in einem Reisebericht von den verschiedenen „Erben der Hippies“ in San Franciscos Subkulturen. Und auch die Ansprüche („Partypolitics“) an eine kritisch-bewußte Party-Kultur werden definiert, bei aller Kritik bleibt das subversive Potential dann auch unbestritten:

„Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei und sie öffnen die Augen und sie beginnen zu tanzen – nicht nur auf den Dancefloors, sondern auch überall in den Straßen, in den Klassenzimmern, in den Büroräumen, in den Supermärkten, in den Parlamenten und auf den Treffen der Weltbanken. Und Tanzen steht dabei für Veränderung, für radikale Veränderung.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei. Und sie verstehen. Und sie tanzen. Und sie träumen. Und sie kämpfen. Und sie lachen. Und sie lieben. Und sie verändern.“

http://www.nachtschatten.ch/nv_main.htm

Protestatlas Leipzig. Text, Bild, Karte. (Rezension)

Klein, grau und unscheinbar kommt er daher, der „Protestatlas“. Drin stecken tut aber eine gute Menge lokaler Leipziger Protestgeschichte in Wort (Chronologie seit 1848), Foto und vor allem in Form von Karten, die Orte, Wege und Daten exemplarisch ausgewählter öffentlicher Protestereignisse festhalten und räumlich veranschaulichen.

Dazu finden sich im „Protestatlas“ Überlegungen zu politischem Protest, seiner Geschichte und Formen, zur künstlerischen Form der „Kartierung“ und zu Möglichkeiten des Archivierens und Nutzbarmachens von Protesterfahrungen.

Entstanden ist der Protestatlas im Rahmen des Projekts general panel, http://generalpanel.org.
Unter http://generalpanel.org/index.php?issue=3&beitrag=1 finden sich neben einer Vorstellung des Protestatlas zwei der Karten.

Die gedruckte Form des 144 Seiten umfassenden Protestatlas mit 6 ausklappbaren Karten kann für 7,50 EUR unter info@generalpanel.org bestellt werden.

Ein interessantes, anregendes künstlerisches Produkt und eine andere Form des Festhaltens von Bewegungsgeschichte.

Jede Stadt sollte über solch einen Protestatlas verfügen!

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