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Buchtipp: „Vergnügter Protest. Erkundungen hybridisierter Formen kollektiven Ungehorsams“ (Gregor J. Betz, 2016, Springer VS)

Die Inszenierung von Protest ist kein neues Phänomen, auch die Verknüpfung von Protest mit alltäglichem oder außeralltäglichem Handeln ist nicht neu, ebensowenig wie Spaß und Freude als Bestandteile von Protest und politischer Aktion. 100 Jahre Dada, aber auch die Jahrhunderte alte subversive Tradition des Karnevals oder des Figurentheaters sind Beispiele dafür.
Jedoch kam es in den letzten Jahren v.a. durch die Kooperation von neuen Bewegungsorganisationen wie attac, ausgestrahlt! und campact mit traditionellen Umwelt-NGOs und Gewerkschaften zu großen Aktionen, die von einer „hochgradig professionell agierenden Organisationselite als spektakuläres Gemeinschaftserlebnis minutiös durchinszeniert“ wurden. Symbolisch, rituell und künstlerisch aufgeladen, verbunden mit aufwändiger medialer Mobilisierung und späterer Dokumentation bzw. Rekonstruktion des „Erlebten“.

Gregor J. Betz hat mit „Vergnügter Protest. Erkundungen hybridisierter Formen kollektiven Ungehorsams“ (Springer VS, 2016) eine sehr gut lesbare und verständliche soziologische Untersuchung dazu veröffentlicht. Das sei hier auch deswegen betont, weil der Autor Verständlichkeit und Lesbarkeit als Anspruch für wissenschaftliche Texte explizit in seiner Arbeit nennt. Dem zu entsprechen ist ihm gelungen. Er untersucht in seinem Buch mittels Analyse von Plakaten und Aufruftexten, umfangreicher eigener teilnehmender Beobachtung an Protesten sowie Interviews mit Teilnehmenden und OrganisatorInnen verschiedene „hybridisierte Formen“ von Protest und Event und die Bedeutung von Vergnügen und Spaß darin. Hybridisierte Formen verbinden klassische Formen von Protest (Demonstration, Kundgebung) mit Freizeit (Sport, Spiel), Kultur (Musik, Tanz) oder alltäglichem Handeln (Kochen, Essen), und versprechen und integrieren dabei Vergnügen und Spaß.

Die Einleitung beginnt mit einer eindrücklichen Beschreibung der Großdemonstration „Energiewende nicht kentern lassen“ vom Mai 2014, die darin als „exemplarisch für zeitgenössischen Protest in Deutschland“ bezeichnet wird. Betz dient diese Demonstration als perfektes Beispiel für das, was er als „eventisierten Protest“ bezeichnet und anhand der gewerkschaftlichen Maikundgebung im Dortmunder Westfalenpark am 1. Mai 2014 sowie des Sternmarsches der Kampagne „UmFAIRteilen – Reichtum besteuern“ in Bochum im September 2013 ausführlicher analysiert. Hinsichtlich der Dortmunder Maikundgebung kommt er zum Fazit, dass nicht mehr die Kundgebung mit Hauptredner den Ereigniskern bildet, um den alles gruppiert ist, sondern das „Kultur- und Familienfest“. Somit sei „eine sukzessive Entpolitisierung und `Profanisierung' der Dortmunder Maikundgebung seit den 1970er Jahren festzustellen, die bis heute anzuhalten scheint“ (1960 wurde zum ersten Mal ein Unterhaltungsprogramm integriert). Trotzdem – oder gerade deswegen – kann die Maikundgebung bzw. der Event immer noch zur Stabilisierung der Gewerkschaftsidentität beitragen. Statt im Kampf nun eben im „kollektiven Feiern“ vor dem Hintergrund einer jahrzehntelangen Tradition, die zumindest als Verweis auch noch immer mobilisierend und sinnstiftend für TeilnehmerInnen ist.
Im Sternmarsch von „UmFAIRteilen“ nehmen die Inhalte deutlich mehr Raum ein, kombiniert mit Erlebniselementen wie Konfettikanone und Frisbeeschlacht, die ohne jegliche inhaltliche Einbettung oder symbolische Bedeutung bleiben.
Zugehörigkeit und Tradition werden im gewerkschaftlichen Kontext stärker inszeniert, bei Protesten wie UmFAIRteilen besteht die Gefahr, dass die Mobilisierung durch Erlebniskomponenten zu einer Erwartungshaltung führt, die trotz Steigerungen von Event zu Event nicht durchgehalten werden kann.

Als Fallbeispiel für „politisierte Events“ untersucht Betz die Nachttanzdemos der Kampagne „DU it youself“ 2011 und 2013 in Duisburg, die eine Verbindung von Protest („Demo“), Spaß („Tanz“) und Außeralltäglichkeit („Nacht“) darstellen. Forderung der Kampagne und ihrer OrganisatorInnen sind Freiräume zur kulturellen Selbstverwirklichung. „Konsumkritische, kapitalismuskritische und andere links-emanzipatorische Theoriefragmente stehen nicht als Werte an sich, sondern werden als Begründung ihrer Forderungen und Widerlegung gegnerischer Positionen verwendet“. Mehrere Brüche und Widersprüche stellt Betz in seiner Untersuchung fest: Kämpferische Sprache und die Betonung des Selbermachens („Du it yourself“) entsprechen nicht der realen Abhängigkeit von der Stadtverwaltung und den appellativen Forderungen an diese. Die OrganisatorInnen erleben ein Dilemma zwischen ihrem Anspruch und Wunsch, die Teilnehmenden zu politisieren und längerfristig zu aktivieren, und deren primäre Mobilisierbarkeit über Konsumierbarkeit und Erlebnisversprechen der Nachttanzdemos. Dem kommen die OrganisatorInnen aber auch entgegen und vermögen – außer in der Rhetorik - diese Form nicht weiterzutreiben. Spaß wird hier zudem auch zum Kommunikationsinstrument, um die Öffentlichkeit von den eigenen Zielen zu überzeugen. „Die Strategie, sich als eine Mischung aus 'Radikalen Feierern' und 'harmlosen Protestlern' zu inszenieren, scheint nicht gefruchtet zu haben.“

Als Fallbeispiel für „Protesthybride“ sind die Schnippeldiskos der Slow Food Youth in Berlin 2014 und Bochum 2013 beschrieben und analysiert. „Die Disko ist vor allem Spaß, Spaß am gemeinsamen Schnippeln, Schruppen und Kochen“ heißt es in deren Ankündigung. Das Format Schnippeldisko hat sich seit der Erfindung 2011 in Berlin weltweit verbreitet. In Berlin und Bochum standen die Diskos in einem klaren politischen Zusammenhang als Teil der „Wir haben Agrarindustrie satt“-Demo bzw. des N.A.T.U.R-Festivals. Interessant sind die religiösen Bezüge, die Betz in seinem Fazit darstellt: Schnippeldisko als Slow Food-Missionierungsevent, in Berlin durch das räumliche Setting als Religionsinstitution mit öffentlichem Abendmahl...

Insgesamt kommt Betz zu dem Fazit, dass Freude und Vergnügen nicht lediglich eine instrumentelle Bedeutung haben, so wie dies in der bisherigen Forschung zu Protest und Sozialen Bewegungen überwiegend angenommen wird:
„Mit Spaßankündigungen wird mobilisiert, freudige Protesthandlungen prägen einen positiven Eindruck gegenüber einer interessierten Öffentlichkeit und verbinden die Inhalte auch gegenüber den Teilnehmern mit positiven Emotionen. Darüber hinaus wird Vergnügen allerdings auch in seinem Selbstzweck als Wert für sich erlebt und dient der positiven Einbindung in eine Gemeinschaft, repräsentiert eine einende Vision und erhöht ein Gefühl der Zugehörigkeit.“ Dabei unterscheiden sich die verschiedenen Formen „eventisierter Protest“, „politisierter Event“ und „Protesthybrid“: „Vergnügter Protest ist eben nicht gleich vergnügter Protest, sondern lässt sich in zum Teil sich einander gegenüber stehende Phänomene aufteilen“.
Deutlich wird, wie ein als Protest inszeniertes Ereignis ebenso auch Konzert, Party, Parade, traditionelles Fest, religiöses Ritual, etc. ist. Deswegen sind die Motivationen von Teilnehmenden, die Konstruktion von Sinn und Bedeutung und die emotionalen Erlebnisse individuell sehr unterschiedlich und vielschichtig. Darüber hinausgehend stellt sich die Frage, ob es die reine Form des Protests überhaupt je gab und nicht jeder Protest ein Hybrid ist, was sowohl die Formen aber vor allem auch die Motivationen und Antriebe der Teilnehmenden betrifft. Gruppenzugehörigkeit und soziale Netzwerkdynamiken, Freude und Spaß haben eine viel größere Bedeutung als gemeinhin angenommen und in der Konzeption vieler Proteste und der Mobilisierung dafür bedacht wird.

In die Konzeption der in „Vergnügter Protest“ untersuchten Protestereignissen sind diese Erkenntnisse jedenfalls deutlich eingeflossen, interessant wäre daher tatsächlich gewesen – und Betz nennt diese Lücke selbst – auch Protestereignisse genauer zu untersuchen, die von traditionellen Sozialen Bewegungen durchgeführt wurden.
Ergänzend wäre für die Protestforschung zudem interessant, neben Freude und Vergnügen auch das Erleben von Abenteuer als außeralltägliches Ereignis in den Blick zu nehmen. Für eine Untersuchung von Abenteuer könnten Elemente und Motive betrachtet werden wie Rollen von Gut und Böse (HeldInnen und SchurkInnen), Weltretten als Motiv/Erzählung, eingeschworene Gemeinschaft, Ungewissheit der Situationen/Settings, körperliche Anstrengung, psychische Spannung, Entbehrung, Improvisation, Kampf/Auseinandersetzung, etc. Bei Gipfelprotesten (oftmals verbunden mit Reisen in andere Städte und Länder), Umweltprotesten in der Natur auf Feldern, in Wäldern oder Kohlegruben aber auch bei urbanen antifaschistischen Protesten gegen Naziaufmärsche in Verbindung mit dem Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei sind offensichtlich noch ganz andere Erlebnisaspekte und Motivlagen wirksam, als die in „Vergnügter Protest“ erhobenen. Die großen Aktionen Zivilen Ungehorsams der letzten Jahre in Deutschland, von Anti-Atom-Protesten im Wendland über den G8-Gipfel in Heiligendamm und Blockupy Frankfurt bis zu Ende Gelände-Braunkohle-Blockaden wären hierfür gute Fallbeispiele.

Abschließend beschäftigt sich Betz noch mit der Frage nach Transzendenz und Sinnsuche im Protest und stellt fest, dass der Verweis auf Verspaßung und Verführung nicht genügt, um den Erfolg sozialer Bewegungen in den vergangenen Jahren (inkl. PEGIDA) zu erklären. „Vielmehr scheinen Soziale Bewegungen zugleich eine in weiten Teilen der Gegenwartsgesellschaft verbreitete Sehnsucht zu erwidern.“ In einer Zeit der Auflösung klarer Weltbilder, sozialer Strukturen und sicherer Lebenswege und zunehmender Fragilität, Prekarisierung und Unsicherheiten machen Soziale Bewegungen „zwar meist diffuse, aber emotionalisierte und Identität stiftende, die gesellschaftliche Komplexität vermeintlich reduzierende und schnell erfahrbare Sinnangebote. Der Protest erscheint den Beteiligten als (zumindest subjektiv) sinnvoll, läßt sie ihren Alltag um den Protest herum strukturieren und gibt ihnen dergestalt zumindest potentiell eine alles umspannende, temporäre Antwort sozusagen auf die Frage nach dem Sinn des Lebens.“ Allerdings hat die Sinnsuche das Vergnügen als Motiv für Protestbeteiligung nicht abgelöst, sondern Vergnügen ist in das Standardrepertoire von Protest aufgenommen und laut Betz erwarten viele Teilnehmende zusätzliche Überhöhung von Freizeitaktivitäten durch Sinnhaftigkeit. „Entscheidend für das Erleben als transzendent, relevant, sinnstiftend sind allerdings nicht der tatsächlich nachweisbare Nutzen sondern ausschließlich das Gefühl des Handelnden, die Freizeitaktivität mit etwas Sinnvollem verknüpft und zusätzlich zum privaten Vergnügen die Welt auch ein kleines Stück verbessert zu haben.“
Insofern wäre die Herausforderung für erfolgreiche Mobilisierungen, Kampagnen, Aktionen aber auch Organisierungen, nicht nur Vergnügen und Freude (sowie hin und wieder auch die Option eines Abenteuers) als „Spaß kann auch Widerstand und Widerstand kann auch Spaß machen“ einzuplanen, sondern auch die strategischen Hintergründe und politische Wirksamkeit stärker herauszuarbeiten und zu kommunizieren. Und nicht zuletzt sollten im Sinne einer breiten Ermächtigung auch die Kompetenzen zu strategischem Denken und Handeln im Sinne eines tatsächlich wirksamen Weltverbesserns verbreitet werden, sodass Vergnügen auch objektiv politisch Sinn machen kann.

Gregor J. Betz: „Vergnügter Protest. Erkundungen hybridisierter Formen kollektiven Ungehorsams“ (Springer VS, 2016) http://www.springer.com/de/book/9783658114152

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